Weil der Signore sich über meine tendenziöse Darstellung des Fussballs in Italien und besonders über die Aussage geärgert hat, dass Florenz immerzu Juventus Turin unterliege und die Fans ungehobelt seien, lasse ich ihn heute einmal zu Wort kommen:
Nachdem Signora Pinella schon einige Kommentare über den „calcio“ in Italien verfasst hat, möchte ich als eingefleischter Fussbalfan einmal einige Dinge ins rechte Licht rücken…
Lebt und arbeitet man in Florenz, so gibt es kein Vorbeikommen am ACF Fiorentina. Will man in der Kaffeepause (davon gibt es in Italien jeden Tag unzählige…) bei der Arbeit mitreden können, so müssen die letzten Spielresultate, die aktuelle Tabelle der Serie A, sowie die Torschützenlise immer präsent sein im Kopf. Zu heissen Diskussionen führt auch immer wieder der Gesundheitszustand
der beiden dauerverletzten Stürmerstars Guiseppe Rossi und Mario Gomez.
Das erste offizielle Match bestritt ACF Fiorentina am 22. September 1929 anlässlich eines Freundschaftsspieles gegen die AS Roma. Bei dieser Partie spielten die Florentiner erstmals in der Geschichte mit violetten Trikots, die mit der Florentiner Lilie (italienisch: Giglio) bestickt waren. Dies führte in der Folge zu den Übernamen la viola (zu Deutsch: die Violette) und i gigliati (die Lilien), die bis heute als Bezeichnungen für die Florentiner gebräuchlich sind. Eine nicht ganz so ernste gemeinte Legende besagt, die violette Farbe der Trikots sei ungewollt entstanden. Man habe die ursprünglich rot-weissen Trikots nach dem Match im Fluss Arno gewaschen, worauf sich diese violett verfärbt hätten…
Während grosse italienische Klubs wie etwa Juventus Turin, AC Milan oder AS Roma Fans verteilt über den ganzen Stiefel haben, so ist die Fiorentina vor allem in der Toskana verankert. Ein Arbeitskollege erklärte mir, dass sei genetisch bedingt: „Kommt man in Florenz auf die Welt, so ist man Fan der Fiorentina. Punkt- Ende der Diskussion.“ Als ich mir die kritische Feststellung erlaubte, dass sich doch sicher auch Anhänger von anderen Clubs in der Stadt finden würden, antwortete er naserümpfend: “Korrekt, aber das sind alles Hinzugezogene, die gelten nicht…”
Besonders viel Spott ernten in Florenz die Anhänger des Erzrivalen Juventus Turin, welche hier einfach nur “i
gobbi”, (die Buckligen) genannt werden. Dieser Übername beruht darauf, dass die Fußballtrikots von Juventus Turin in den 1950er Jahren einen Buckel auf dem Rücken der Spieler formten, sobald diese zu rennen anfingen.
Es ist klar, dass ganz Florenz in Staatstrauer verfiel, als die Fiorentina vor ein paar Wochen in der Europa League gegen genau diese Gobbi nach einer knappen 1 zu 0 Heimniederlage ausgeschieden ist.
Am 6. April 2014 war es für mich dann soweit. Ich hatte mir ein Ticket ergattert und nahm ausgerüstet mit einem passenden Fan-Schal auf der Tribüne Maratone des altehrwürdigen und 47 500 Plätze fassenden
Stadio Artemio Franchi
Platz. Das Stadion wurde 1931 gebaut und sollte dringend mal renoviert werden. Doch es herrscht ganz ein besonderer Charme, den topmoderne Arenen nicht bieten können. Dazu trägt sicherlich auch die etwas ungewöhnliche Hymne bei, die jedesmal beim Einlaufen der Spieler gespielt wird
. Sofort fühlt man sich um Jahrzehnte in die Vergangenheit versetzt.
Man sitzt so eng zusammen, dass man spätestens nach dem 3. unbeabsichtigten Ellbogen-Rempler mit dem Sitznachbarn automatisch ins Gespräch kommt… Als ich dann in meinem kargen Italienisch mühsam erklären wollte, dass mein Lieblingsverein zu Hause BSC Young Boys heisst, erntete ich nur ein Schulterzucken: „Noch nie gehört. Das liegt in der Schweiz????? Da gibt es doch den FC Basilea…”
Insgesamt war ich sehr überrascht von der friedlichen Stimmung, weit weg von den vergangenen Beiträgen in den Nachrichtensendungen über italienische Ultras. Vielleicht liegt es auch daran, dass in der Pause die Kolonne bei der Espresso Bar fast doppelt so lange war, wie diejenige beim Bierstand…
Nach einem sehr unterhaltsamen Spiel hat die ACF Fiorentina übrigens 2 zu 1 gegen Udinese Calcio gewonnen. Und ich spiele schon mit dem Gedanken mir eine Saisonkarte für 2014/15 zu kaufen… Ob die Signora Pinella da wohl einverstanden ist?